Mittwoch, April 11, 2007

Kreuzverhöre statt Talkshow: Alice Schwarzers ideologischer Amoklauf

War Alice Schwarzer nicht großartig gestern abend? Die schlimmsten Befürchtungen der Genderama-Leser wurden vollauf bestätigt: Schwarzer spulte ihre ideologische Nummer ab und benutzte sämtliche eingeladenen Gäste nur als willfährige Werkzeuge. Gaby Dohm bekommt noch Angebote für erotische Szenen, obwohl sie über 60 ist? Skandal! Jungen fordern von Mädchen Oralsex, „als ob das eine ganz normale Praktik wäre“? Skandal! Ein Pornoproduzent greift auf Darstellerinnen aus Osteuropa zurück? Dass das Freiwillige sein sollen, „lassen wir mal so stehen“, bekundet Schwarzer mit unheilschwangerem Ton in der Stimme, um im nächsten Moment davon zu sprechen, dass „jedes dritte bis vierte Mädchen“ Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei. Scheißegal, dass „Zartbitter“ längst zurückgerudert und solchen Blödsinn als „politische Zahlen“ zu verteidigen versucht hat, wird schon keiner der Zuschauer gelesen haben oder sich daran erinnern. Schwupp sind wir beim Thema Gang-bang, was für Schwarzer natürlich nur als „Gruppenvergewaltigung“ übersetzbar ist. Der dezente Hinweis darauf, dass viele Frauen bei sogenannten Gang-bang-Partys beispielsweise in Swinger-Clubs von sich aus begeistert mitmachen, wird mit einer Handbewegung abgetan: „Unter Drogen vielleicht!“ Wenn man Swinger-Club-Besitzer interviewt, erfährt man hingegen, dass immer wieder Partys daran scheitern, dass zwar die entsprechenden Damen erscheinen, aber nicht die gewünschten Herren (möglicherweise weil sie nicht die Traute haben, sich mit mehreren anderen Geschlechtsgenossen zu messen.) Aber um solche Dinge herauszufinden, müsste man eben vorurteilsfrei mit den entsprechenden Leuten reden. Und das ist Schwarzers Sache nicht.

Ein Herr, der zu Schwarzers Talkrunde wohlweislich gar nicht erst erschienen ist, war der Rapper Bushido – möglicherweise weil er ahnte, welcher Irrsinn da auf ihn zukommen würde. Natürlich konnte Schwarzer ihm so eine Dreistigkeit nicht einfach durchgehen lassen, weshalb sie ihren guten Stil damit bewies, dass sie ihn in Abwesenheit niedermachte: Er habe „nicht die Eier gehabt“ zu kommen. An seiner Stelle saß ein weit weniger bekannter Rapper, dessen Texte man wohlwollend als „schwachsinnigen Dreck“ bezeichnen könnte, der aber gegenüber Schwarzers polemischen Attacken so hilflos wirkte, dass mancher Zuschauer sich ausgerechnet mit ihm automatisch solidarisiert haben mag. Dass Schwarzer eine Kollegin von ihm putzmunter als „Schlampe“ bezeichnete, fiel im Eifer des Gefechts schon gar nicht mehr auf. Die Sendung schloss wie erwartet mit der apokalyptischen Version, dass eine Generation emotional völlig abgestumpfter und mitleidsloser Porno-Zombies auf uns zurollen werde. Man sollte die Talkshow konservieren und im Fach Medienwissenschaften als Musterbeispiel politischer Propaganda im Fernsehen vorführen. Dann hätte man damit zumindest etwas Gutes erreicht.

Immerhin war Schwarzers Propagandafeldzug so durchschaubar, dass man keinen Hintergrund als Feminismus-Kritker benötigt, um genervt darauf reagierten. So finden wir eine treffende Kritik zur Sendung im SPIEGEL:

Es kamen fast ausschließlich Suggestivfragen aus dem Mund der "Emma"-Herausgeberin und Ur-Feministin, die sich mit ihrer unjournalistischen Themaannäherung ins moderatorische Aus katapultierte. Es war ohnehin eine Runde der Extreme: Eine extrem naive, extrem junge Mutti, ein extrem dämlicher und auch noch recht erfolgloser Porno-Rapper, eine extrem zugeknöpfte Ex-Klosterschülerin (Gaby Dohm), ein traumatisiertes Massenvergewaltigungsopfer und zwei ältere Herrschaften mit den besten Jugendschutzabsichten. Die Tatsache, dass Pornokonsumenten immer jünger, die Pornoinhalte immer härter und die Zugangsmöglichkeiten zum Sexstoff immer einfacher werden, ist auf jeden Fall und dringend mehr als eine Diskussion wert. Nur kann Frau Schwarzer leider nicht diskutieren.


Der Artikel ist in Gänze lesenswert – ebenso wie eine weitere Kritik in der “Süddeutschen Zeitung“:

Leider wirkt das aber über weite Strecken aber so, als mache es (Alice Schwarzer) richtig Spaß, mit vollen Händen aus der Gosse zu schöpfen. Es ist eben der Ton, der die Musik macht. Nie hat man in den vergangenen Wochen das Ende von Sandra Maischbergers Babypause heftiger herbeigesehnt als in diesen Momenten. „Früher, härter, unromantischer – Sex ohne Liebe?“ heißt das Thema, zu dem gleich sieben Gäste im Blickfeld von Alice Schwarzer sitzen. Schnell wird deutlich, dass der Begriff Talkshow an diesem Dienstagabend ad absurdum geführt werden soll. Abfrageschau, Prüfung oder Verhör wäre möglicherweise eine passende Charakterisierung dieser Veranstaltung, bei der vor allem eine redet: Frau Schwarzer. „Erzählen Sie doch mal, was Sie so erleben“, fordert sie eine Ärztin auf, und gerne stellt sie Fragen aus der „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…“-Kategorie. Von Neugierde ist da keine Spur. Abgehakt wird, was ihr die Redaktion an Vorinformation auf die Kärtchen geschrieben hat. (...)

Selbst als sich Frau Schwarzer ausnahmsweise mal vergleichsweise behutsam an das Schicksal einer jungen Frau heranpirschen und nicht gleich mit den unangenehmen Erlebnissen ins Haus fallen will, misslingt es, weil die Redaktion schon lange vorab per Insert ausgeplaudert hat, dass das befragte Mädchen von sechs Männern vergewaltigt wurde. Aber sie ist eh nur Staffage in dieser Schwarzer-Show, denn nachdem sie schicksalstechnisch ausgesaugt wurde, wird sie abgelegt am Bildschirmrand. Immerhin weiß man nun, dass die Gäste in den umstrittenen Nachmittagstalkshows der Privaten so schlecht gar nicht behandelt wurden.

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