Freitag, Februar 22, 2008

BRIGITTE verträgt das Echo nicht

Kann man einen extrem unsachlichen und polemisierenden Beitrag online stellen und sich danach über entsprechend verärgerte Rückmeldungen wundern? Das BRIGITTE-Team bringt das fertig. Auf den Internetseiten der Zeitschrift nämlich war eine Diskussion um einen Artikel zur häuslichen Gewalt sehr heftig geworden, der zwar erfreulich provokativ geschrieben, aber leider auch unerfreulich nachlässig und einseitig recherchiert worden war – und beides zusammen ist nun mal eine ziemlich schlechte Kombination. Da die BRIGITTE-Redakteurinnen das Sprichwort "Wie man in den Wald hineinruft ..." offenbar gerade nicht parat hatten, reagieren sie auf die Kontroverse, zu der sie zuvor erfolgreich angestachelt hatten, nun mit folgendem Kommentar:

Liebe User,
angesichts der kritischen Kommentare möchten klarstellen, dass sich die Autorin des Artikels mit einem klar umrissenen Thema beschäftigt hat, nämlich, dass sehr viele Frauen von ihren Männern misshandelt werden. Das ist keine Behauptung, sondern eine erwiesene Tatsache. Natürlich sind ihre Formulierungen zuweilen ironisch überspitzt - dennoch ging es hier nicht darum, die Geschlechter gegeneinander aufzuwiegen. Selbstverständlich ist uns bewusst, dass auch Männer unter Gewalt durch Frauen leiden - doch das ist ein anderes Thema und darum an dieser Stelle fehl am Platz.


Warum nur rechne ich nicht wirklich damit, dass die BRIGITTE in der nächsten Zukunft einen Artikel über jenes "andere Thema" platzieren wird? Aber das ist nur ein Teil des Problems. Fast noch schwerer wiegt, dass eben weil sie offenbar meinen, sich auch ohne sorgfältige Recherche eine Meinung bilden zu können, die BRIGITTE-Journalistinnen nicht begriffen haben, dass "Gewalt gegen Frauen" eben KEIN anderes Thema als "Gewalt gegen Männer" ist. Erstens ist zahlreichen Studien zufolge häusliche Gewalt in der Mehrzahl der Fälle ein Resultat wechselseitiger Eskalation (er blafft sie an, sie schubst ihn weg, er schlägt zu - oder mit umgekehrter Geschlechterverteilung). Zweitens wird häusliche Gewalt häufig über die Geschlechtergrenzen hinweg an die nächste Generation weitergegeben: Wenn Papa die Mama schlägt, "lernt" unter Umständen auch die Tochter unbewusst, dass Gewalt eine Methode der Konfliktlösung sein kann, und wenn die Mutti den Vati schlägt, lernt dasselbe unter Umständen der Sohn. Und drittens ist es natürlich auch eine Form von Gewalt, wenn die möglicherweise sogar größte Opfergruppe in der Berichterstattung konsequent ausgeblendet wird. So zu tun, als sei bei der Diskussion um Wege zur Bekämpfung häuslicher Gewalt die Erwähnung männlicher Opfer "fehl am Platz", wie die BRIGITTE so schön schreibt, ist eine Garantie dafür, dass man dabei keinen Schritt weiterkommt.

Die BRIGITTE-Ermahnung ihrer Leser endet mit den Sätzen:

Beachten Sie bitte auch, dass wir unsachliche, beleidigende und ausufernde Kommentare nicht akzeptieren können. Sie zerstören jegliche Art von konstruktiver Diskussion, für das dieses Angebot eigentlich gedacht ist. Sollte die Kommentarfunktion weiterhin von einzelnen Interessensgruppen missbraucht werden, sehen wir uns gezwungen, sie für diesen Artikel ganz abzuschalten.
Ihr BRIGITTE.de-Team


"Wenn man früher nicht mochte, was man in der Zeitung las", schreibt der in den USA sehr bekannte Blogger Glenn Reynolds in seiner bestechenden Analyse "An Army of Davids", "dann konnte man sich entweder bei seinen Nachbarn darüber beklagen oder einen Leserbrief schreiben, der – vielleicht – Tage oder Wochen später veröffentlicht werden würde, wenn jeder vergessen hat, worum es überhaupt ging." Und wenn damals eine bestimmte soziale Gruppe mit journalistisch fragwürdigen Mitteln ins Abseits gestellt wurde, dann war das eben das Problem dieser Gruppe. Dank dem Internet ist es jetzt das Problem der Journalisten geworden, die nicht gründlich genug recherchiert haben. "We can fact-check your asses" brachte das Ken Layne, ein anderer amerikanischer Blogger, auf den Punkt. Viele Journalisten in den USA haben das bereits begriffen. Viele deutsche noch nicht.

Nachtrag, eine Stunde später: BRIGITTE schmollt jetzt und weigert sich, meine Erläuterung online zu stellen, warum Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Männer eben keine zwei getrennten Themen sind. Genderama gratuliert zu so viel Kritikfähigkeit und zu so viel Interesse an einer ernsthaften Beschäftigung mit dem vorgestellten Thema.

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