Mittwoch, Oktober 10, 2012

Offener Brief der Opferhilfe Hamburg an Ministerin Kristina Schröder

Die Opferhilfe Hamburg sandte Bundesfrauenministerin Kristina Schröder am 1. Oktober den folgenden offenen Brief:

Betreff: Bundesweites Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen

Sehr geehrte Frau Dr. Schröder,

wir begrüßen, dass es endlich ein bundesweites, rund um die Uhr erreichbares Hilfetelefon für Opfer von Gewalt gibt. Bedauerlich ist nur, dass sich dieses Angebot ausschließlich an Frauen richtet.

Werden Männer nicht Opfer von Gewalt?

In einer Verlautbarung Ihres Hauses vom 02.11.2011 zur Begründung des bundesweiten Hilfetelefons, "Hintergründe und Fakten", heißt es, über die Gewaltbetroffenheit von Männern sei noch zu wenig bekannt, es gäbe keine "belastbaren Erkenntnisse". Diese Aussage hat uns sehr überrascht, denn es gibt sehr wohl "belastbare Erkenntnisse":

* Die polizeiliche Kriminalstatistik weist seit vielen vielen Jahren 70% aller Gewaltopfer als Männer aus.

* Die von Ihrem Haus geförderte Pilotstudie "Gewalt gegen Männer. Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland" (2004) kommt zu dem Schluss: "Die Pilotstudie hat die große Bandbreite und die Häuligkeit personaler Gewalt gegen Männer aufgezeigt." (Kurzbericht, S. 14). Weitere Forschung sei notwendig. Bisher ist ein solches Fortsetzungsprojekt auch 8 Jahre später durch das BMFSFJ wohl nicht geplant.

* 35 % der betroffenen Anrufer bei der Anlaufstelle der Unabängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs waren Männer.

* Auch die Infostelle des Runden Tischs Heimerziehung machte ähnliche Erfahrung: 35% der betroffenen Anrufer waren Männer.

Wir fragen uns, warum werden diese eindeutigen Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen?

Als zynisch empfinden wir die weitere Begründung gegen ein Angebot für männliche Opfer:

"Vor Ort gibt es auch keine spezialisierte Beratungslandschaft, an die das Hilfetelefon gewaltbetroffene Männer weitervermitteln könnte." (Hintergründe und Fakten, S.4)

Diese Argumentation bedeutet nichts anderes, als dass ein Mangel an Versorgung als Begründung daflir dient, dass man nicht weiter handeln muss, um Lücken zu schließen.

Die schlechte bzw. fehlende Versorgung von männlichen Gewaltopfern ist ein Skandal.

Wir fordern daher:

* Erweiterung der Zielgruppe des Unterstützungstelefons auch auf betroffene Männer.

* Umsetzung der Schlussfolgerung aus der Pilotstudie "Gewalt gegen Männer":

-> "Erweiterung des Wissens über Gewaltwiderfahrnisse von Männern (...) Neben repräsentativer Forschung über die Häufigkeit, in der Männer die unterschiedlichen Gewaltformen widerfahren, sind spezielle Forschungen darüber nötig, welche Unterstützung sie brauchen, wie sie erreicht werden können und wie die Angebote ausgestaltet werden müssen, damit sie wirklich zur Bewältigung beitragen." (Kurzbericht 2004, S.14)

-> Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für Ausmaß und Folgen der Gewalt gegen Männer." (ebd.)

-> "[Es] ist ein kompetentes Hilfesystem für gewaltbetroffene Männer und Jungen erforderlich." (ebd.)

Mit freundlichen Grüßen

Peter Giese

Leiter der Opferhilfe Hamburg


Warum eigentlich, so fragt man sich nach diesem Brief, ist es überhaupt notwendig, dass die Opferhilfe Hamburg die Bundesfrauenministerin anschreiben muss, um auf die massive Vernachlässigung männlicher Opfer hinzuweisen? Schließlich ist dem Frauenministerium seit zwei Jahren ein Bundesforum Männer angegliedert, dessen Aufgabe es wäre, genau dieses Engagement für männliche Opfer zu erbringen. Stattdessen verbringt man seine Zeit dort lieber damit, eine idiotische Kontroverse mit den Aktiven der Männerbewegung zu führen.

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