Donnerstag, Juni 25, 2015

Hanna Rosin: "Wie man sinnvolle Debatten vermeidet"

Die Feministin Hanna Rosin beklagt im Magazin The Atlantic das Ende der argumentativen politischen Debatte:

Want to avoid a debate? Just tell your opponent to check his privilege. Or tell him he’s slut-shaming or victim-blaming, or racist, or sexist, or homophobic, or transphobic, or Islamophobic, or cisphobic, or some other creative term conveying that you are simply too outraged by the argument to actually engage it. Or, on the other side of the coin, accuse him of being the PC thought police and then snap your laptop smugly.

In the art of debate avoidance, each political camp has honed a particular style. Conservatives generally aim for the prenup approach, to preempt any messy showdowns. If you want to join the club, then you have to sign a contract or make a pledge — no new taxes, no abortions, no gay marriage — and thereafter recite from a common script. Progressives indulge a shouting match of competing identities that resembles an argument but is in fact the opposite, because its real aim is to rule certain debates out of bounds.


In Deutschland sieht es in dieser Hinsicht kaum anders aus als in den USA. Spätestens seit der sogenannten "Möllemann-Debatte" im Jahr 2003 wird zum Beispiel die Frage nach Vernunft und Moral der israelischen Politik mit einer Scheindebatte dadurch ersetzt, ob eine bestimmte Position nun antisemitisch sei oder nicht. Heute diskutiert man zehnmal lieber, wie "rechts" die AfD sei, als, ob ihr Vorschlag eines Einwanderungsgesetzes nach kanadischem Vorbild für Deutschland vernünftig wäre oder nicht. In der Geschlechterdebatte ist es nicht anders: Während zum Beispiel MANNdat eine diskussionswürdige Liste konkreter Forderungen vorlegt, reagieren darauf Leute wie Thomas Gesterkamp mit der Forderung, man solle nicht MIT Männerrechtlern diskutieren, sondern ÜBER sie, um dann im Radiogespräch mit dem MANNdat-Vorsitzenden Andreas Kraußer ganz erstaunt darüber zu tun, dass MANNdat den Geschlechterdialog fordert. Und Gesterkamps Spezi Andreas Kemper beschränkt sich so wie von Hanna Rosin geschildert weitgehend ebenfalls auf das Verteilen von Etiketten wie "rechts" und "transphob" sowie das Skizzieren obskurer "Netzwerke", offenbar weil das intellektuell weit weniger fordernd als eine Debatte auf Sachebene ist.

Und auch hierzulande sieht es im anderen Lager genauso aus. Auch dort ersetzen Menschen die Sachdebatte lieber durch eine Selbstinszenierung als "vom Zwang der politischen Korrektheit ungebeugt" und wettern gegen "Gutmenschen", denen man erst gar nicht auf argumentativer Ebene begegnen muss. Auf mein Befürworten der Homo-Ehe erhielt ich prompt eine Mail mit dem "Argument", wenn es bei der Ehe nur um Liebe gehe, könne man ja auch "seine Gürtelschnalle heiraten", aber da ich das "nicht verstehen wolle", sei jede Diskussion sinnlos. Ähnliche "Argumente" findet man auch in Blättern wie der Jungen Freiheit. Und die größte Bürgerbewegung der jüngsten Vergangenheit, die Pegida, bestand weiger im Argumentieren als darin, dass die Leute schweigend und beleidigt schmollend durch die Straßen stampften.

Dabei geben die Leitmedien die Maxime "Bloß keine kontroverse Debatte!" vor. Da werden bei Blättern wie der Süddeutschen die Kommentarspalten schlicht abgeschafft, und wenn sich der SPIEGEL wieder herablassen will, um mit seinen Lesern zu sprechen, ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern eine eigene Meldung wert. Und natürlich erwartet niemand, dass ich auf meinen Brief an die "Chrismon"-Redakteurin Dorothea Heintze eine Antwort bekommen habe. "Diskutieren" geht schließlich nur im Rahmen eines NDR-Talks, wo alle derselben Meinung sind – aber kontrovers? Hilfe, Hilfe, ich bin doch Feministin – wo ist mein Safe Space!?

Woran liegt dieser grassierende Unwille an Debatten in unseren Leitmedien? Vielleicht gar nicht mal nur an Böswilligkeit oder Dummheit, sondern an einem Grund, der von Harald Schmidt genannt wird:

Die junge Journalistengeneration, ist eher leicht beunruhigt, wenn sie vom eigenen Verleger durch Tierfutterversand im Internet ersetzt wird. Insofern hat es weniger mit Ideologie zu tun, als mit der leicht aufgeregten Suche nach Klicks.


Wir müssen nun mal Leistung bringen, um Geld zu verdienen. Für Debatten mit irgendwelchen Idioten, die nicht einmal unserer Ansicht sind, bleibt da echt keine Zeit.

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