Mittwoch, Dezember 16, 2015

Leserbrief (Tim Hunt)

Einer meiner Leser schreibt mir:

In "Der Spiegel. Chronik 2015" befasst sich Jan Fleischhauer eine Seite lang mit dem Eklat um Tim Hunt (S. 115, nicht online). Wer Genderama verfolgt hat, ist über den Vorfall an sich gut informiert.

Bemerkenswert ist aber, dass Fleischhauer die Affäre mit einem Roman von 2010 in Verbindung bringt, Ian McEwans "Solar". Darin wird ein Physik-Nobelpreisträger aus dem Amt gejagt, nur weil er die Bemerkung wagt, es gebe so wenig Frauen in der Physik, weil Mädchen sich mehr für Menschen, Jungen hingegen mehr für konkrete Gegenstände und abstrakte Regeln interessieren. (Eine sicher nicht völlig von der Hand zu weisende Annahme, aber für Feministinnen bereits ein Gedankenverbrechen.) Als ihn darauf eine Demonstrantin mit einer Tomate bewirft und der Phyiker die unglückliche Idee hat, die Reste der Tomate zurückzuwerfen, zeigt das Fernsehen nur noch in einer Endlosschleife das Gesicht der besudelten Frau. (Ian McEwan hat in seinem Roman also auch die Voreingenommenheit der Medien gut getroffen.) Die Karriere des fiktiven Physikers ist damit natürlich vorbei.

In der Realität brauchte es nicht einmal einen Tomatenwurf, Tim Hunts Karriere wurde allein durch seinen Scherz zerstört. Dabei war dieser klar als solcher erkennbar, wie auch Fleischhauer in seinem Artikel betont: Ein Tonmitschnitt zeigt, dass es unter den Zuhörerinnnen viel Applaus und Gelächter gab, außerdem zeigte sich eine Frau beeindruckt, "dass Sir Tim Hunt eine derart witzige und komische Rede improvisieren konnte". Aber das war noch vor der Kampagne gegen Hunt, die Fleischhauer so kommentiert: "Dem klassischen Feminismus ging es um die Teilhabe an der Macht, seine Verfechterinnen kämpften für praktische Anliegen wie gleichen Lohn oder den Zugang von Frauen nach oben. Der Netzfeminismus hat sich auf die Ahndung von Meinungsverbechen verlegt, worunter im Zweifel schon ein schlechter Scherz fällt."

Besonders entlarvend für die Doppelstandards des Feminismus ist dabei folgender Umstand, auf den Fleischhauer hinweist: Die Dozentin, die die Lawine gegen Hunt losgetreten hatte, präsentierte sich auf ihrer Universitätswebsite mit mehreren falschen Angaben zu ihrem beruflichem Werdegang. "Einiges war stark übertrieben, manches sogar frei erfunden" - davon, dass ihr das geschadet hätte, berichtet Fleischhauer aber nichts. Was ist auch schon der gefälschte Lebenslauf einer Dozentin gegen einen einfachen Scherz eines männlichen Nobelpreisträgers, da weiß ja jeder, wen man dann aus dem Amt entfernen muss ...

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